CARRIE – Das Musical
„Nach Sekunden der Schockstarre kennt das Publikum kein Halten, steht auf und feiert eine außergewöhnlich unter die Haut gehende Show. “
(Oberhessische Presse)
Musik von Michael Gore
Songtexte von Dean Pitchford Buch von Lawrence D. Cohen
Nach dem Roman von Stephen King
Deutsche Textfassung von Martin Wessels-Behrens und Judith Behrens
Basierend auf dem gleichnamigen Debütroman von Stephen King (1974) und der Verfilmung von Brian de Palma (1976) erzählt das Musical „Carrie“ die Geschichte der heranwachsenden Carrie White.
Das junge Mädchen lebt – sozial fast vollständig isoliert – unter dem Regime der streng religiösen Mutter. Margaret White nutzt Schuld-, Scham- und Angstgefühle um ihre Tochter vor der Welt zu „schützen“. In der Schule ist Carrie aufgrund ihrer Unbeholfenheit und ihres ungewöhnlichen Auftretens regelmäßig beißendem Spott ausgesetzt.
Besonders schikaniert wird Carrie von der Cheerleadergruppe, angeführt von Chris Hargensen und Sue Snell, die beide hohes Ansehen unter ihren Mitschülern genießen. Als die unaufgeklärte Carrie unter der Dusche erstmalig ihre Monatsblutung bekommt und in Panik gerät, eskaliert die Demütigung des Mädchens durch ihre Mitschüler.
Margaret White – Carries Mutter – selbst unaufgeklärt und in Folge dessen schwer traumatisiert, reagiert völlig überfordert. Zeitgleich schlägt das grausame Verhalten der Mädchengruppe in der Schule hohe Wellen. Mrs. Gardner, eine engagierte Lehrerin, versucht Carrie zu schützen und konfrontiert die Mädchen mit ihrer Tat. Während Chris uneinsichtig reagiert, entwickelt Sue Mitleid für Carrie und versucht ihr durch einen ungewöhnlichen Plan zu helfen.
Carrie beginnt sich zu fragen, ob sie nicht vielleicht doch „normal“ sein kann. Sie möchte endlich „dazu“ gehören. Doch noch etwas Anderes schlummert in ihr und beginnt langsam zu erwachen …
Fotos: Hasret Sahin, Produktion
Produktionsleitung | SCHAUERMANN Patrick |
Produktionsleitung | NIEHAUS Helga |
Musikal. Leitung / Korrep. | MELNIK Alex |
Chor + Vocalcoach | SCHMITZ Verena |
Regisseur | SCHMIDT Martin |
Regieassistenz | THEIS Denise |
Choreografie | ECKHARDT Maik |
Technische Leitung | ZEITZ Jonatan |
Lightdesign | |
Kostümbild | SOBEL Vanessa |
Assistenz Kostümbild | ANGULO Caro |
Maske | STEPHAN Silvia |
Bühnenbild / Set Designer | DÖLL Thomas |
Werkstatt Waggonhalle | |
Dancecaptain | KIRSCH Hannah / LINDEMANN Helena |
Carrie White | SCHÜSSLER Nele / WETZLAR Antonia-Luise |
Margaret White | GÖBEL Svenja / RITZ Franziska |
Mrs. Gardner | DI MARTINO Angela / SCHMIDT Annika |
Sue Snell | KAUFMANN Rebecca / SCHÄFER Tahira |
Chris Hargensen | BRUMMUND Steffi / HORST Jaline |
Tommy Ross | KOCHSEDER Andreas / KILLINGER Sebastian |
Billy Nolan | AL HETEILAH Samir / KILLINGER Sebastian |
Mr. Stephens / Referent Bliss | LANG Flo |
Ensemble | KIRSCH Hannah / LINDEMANN Helena (Rolle: Norma) BRATTIG Anna / GRUNWALD Emily (Rolle: Frieda) GASSMANN Oliver (Rolle: George) ECKHARDT Maik (Rolle: Freddy) |
„Was kostet es, freundlich zu sein?“
Frenetisch bejubelte Musical-Premiere in der Waggonhalle: „Carrie“ trifft den Nerv des Publikums
Von Sabine Jackl
Marburg. Die prächtig gelungene „Carrie“-Premiere hat zweifellos das Prädikat „Ergreifendes Ereignis“ verdient. „Die Nacht, die keiner vergisst“, so soll der ersehnte Abschlussball an der Chamberlain High-School sein. Womöglich unvergesslich macht hochklassige Spiel-, Sanges- und Musizierkunst den Mittwochabend in der proppenvollen Waggonhalle. Ungefiltert knallt sie ins Herz und trifft so ziemlich alles auf der Emotionsskala zwischen Abscheu, Begeisterung, Empathie und Verstörung.
Erlebt man die kraftvolle, zugleich feinnervige Inszenierung von Martin Schmidt, dann ist kaum zu glauben, dass „Carrie“ bei der New Yorker Uraufführung 1988 floppte. Dieses Schicksal wird der 42. Waggonhalle-Produktion (Leitung: Patrick Schauermann, Helga Niehaus, Intendanz: Matze Schmidt) erspart bleiben, so sicher, wie sich zwölf Akteure und sieben Livemusiker auf der Bühne befinden. Der Clou: Fast alle Rollen sind doppelt besetzt, die Shows werden in variablen Teams gespielt. Beeindruckend choreografiert (Maik Eckhardt) und dirigiert (Alexander Friedrich Melnik), werfen sich alle mit Inbrunst in die mitreißende Story um die gedemütigte Teenagerin Carrie White.
Schon Melniks Handzeichen für die ersten Töne ist eine Schau. Die vom Stil der 80er- und 90er-Jahre geprägte Musik hält den Spannungsbogen über zwei Stunden Spielzeit mit 25-minütiger Pause. Vereinzelte akustische Probleme gibt es zwar, doch merkt das begeisterte, jede Szene (bis auf eine …) frenetisch feiernde Publikum schnell, dass es kein Nachteil ist, nicht jedes gesungene Wort perfekt hören zu können. „Carrie“ lebt von Emotionen. Es ist ein Kessel kochender Wut, schamloser Häme, aber auch voller Poesie („Unbekannter Träumer“) und wachsender Selbstermächtigung („Ich bin nicht mehr lang euer Depp“).
Die pointiert gestaltete Bühne (Thomas Döll) ist Schulhof, Klassenzimmer, Ballsaal. Vor allem zeigt sie das wahre Horrorzentrum: die düstere Wohnung der Whites mit Nähstube oben und Hausaltar unten. Hier hausen Carrie und ihre Mutter Margaret, deren Darstellerin Svenja Göbel eine anbetungswürdig böse Betschwester ist. Im züchtigen Selbstgestrickten (Kostüme: Vanessa Sobel) bewegen sich die beiden auf der dunklen Seite des Mondes. Hier herrscht der Horror als quälerisches Ausgegrenztsein des Mädchens durch seine strenggläubige, manipulative Mutter.
In phänomenaler Spielmanier und mit einem Gesicht, das zur eigenen Bühne wird, schenkt Antonia-Luise Wetzlar ihrer Carrie eine überragende Stimme. Wie sie mit dem Kopf zwischen den Schultern zur gebeugten Kreatur wird, um sich dann zu erheben, ist großartig. Die verblendete Mutter deutet es freilich anders: „Hexen müssen geopfert werden.“ Den schlimmen Weg dahin trägt das Ensemble in einer ausnahmslos exzellenten Gemeinschaftsleistung.
Die Clique um die einflussreiche, aber gefühlsarme Chris (Jaline Horst gibt alles für ihr sexy Luder in Pink) nimmt Carrie unter Beschuss, wenn’s sein muss auch mit Tampons. Noch geschockt durch ihre erste Monatsblutung, wird sie gehetzt wie ein waidwundes Reh: „Ist doch nur Carrie.“ Einzig Sue (zart und stark: Tahira Schäfer) hat Gewissensbisse: „Ich war zu feige, um klar zu sehen und um zu verstehen.“
Selbsterkenntnis wider Gruppenzwang: Das Musical ist im Heute verortet, wo Respektlosigkeit, Hass und Mobbing auf der Tagesordnung stehen, vor allem in den sogenannten sozialen Medien. Sue bringt es auf den Punkt: „Was kostet es, freundlich zu sein?“ Das dringt nicht durch, denn auch die hippen Jungs geben ihr Bestes für das Böse. Imponierend in Gesang und Spiel macht Sebastian Killinger seinen Tommy zum Mann für alle Fälle. So führt er Carrie zum Ball in der Hoffnung, das Mädchen ließe sich integrieren. Niemand ahnt, dass Chris und Billy (Samir Al Heteilah überzeugt als Testosteron-Simpel) einen blutigen Plan haben. Doch längst wirkt eine sonderbare Kraft in Carrie.
Die gewaltsamen Szenen sind heftig und von toller Ton- und Lichttechnik nahezu filmisch untermalt. Eine bleibt übrig. Carrie ist es nicht. Oder doch? Nach Sekunden der Schockstarre kennt das Publikum kein Halten, steht auf und feiert eine außergewöhnlich unter die Haut gehende Show.
(Oberhessische Presse, 10.08.2024)