Seide & Stahl
Seide & Stahl ist eine abendfüllende Soloperformance, die zeitgenössische Zirkustechniken mit Gewichtheben, audiovisuellen Interludien und interdisziplinären Diskursen verbindet. Die Produktion untersucht die disziplinären und geschlechtsspezifischen Widersprüche in der Luftartistik und im Kraftsport. In einem kollaborativen Zusammenspiel mit weiblich gelesenen Zirkusartistinnen, Kraftsportlerinnen und Aktivistinnen strebe ich eine explorative und interventionistische Annäherung an ein gesellschaftliches und künstlerisches Paradox an: die kraftvollen weiblichen Körper und ihre ästhetische Unsichtbarkeit.
Inhaltliche Auseinandersetzung: Die Performance entstand aus einer intensiven Recherche, die sich mit der Ambivalenz starker weiblicher Körper im öffentlichen Raum und der Kunst auseinandersetzte. Luftartistik verlangt von weiblich gelesenen Körpern Zartheit und Schwerelosigkeit, während Kraftsport ein maskulinisierter Raum bleibt, in dem Frauen häufigem Blickregime und Abwertung ausgesetzt sind. Seide & Stahl bringt diese Welten zusammen und schafft eine neue, kraftvolle Ästhetik jenseits der klassischen Normen.
Motiviert von queerfeministischer Kritik an der Kommodifizierung des weiblichen Körpers, verwandelt Seide & Stahl gesellschaftliche Paradoxa in ein visuell und physisch eindringliches Zirkusereignis. Muskulöse Frauen, deren Körper in den binären Geschlechternormen als irritierend gelten, werden mit Stolz sichtbar gemacht. Ohne sexualisierende Inszenierung oder Betonung sekundärer Geschlechtsmerkmale wird Kraft als eigene, künstlerische Sprache erfahrbar.
Methodik und künstlerische Umsetzung: Die Produktion basiert auf einer mehrphasigen Recherche, die durch den Fonds Darstellende Künste (Fonds Daku) und die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Berlins gefördert wurde.
In der ersten Phase wurden die Materialien Seide und Stahl erforscht. Die Elemente wurden in ungewohnte Kontexte versetzt: Stahlgewichte wurden auf die Bühne transformiert, während das Tuch in einer maskulin geprägten Gym-Atmosphäre inszeniert wurde. Dies ermöglichte eine experimentelle Reflexion von Material und Körper. In der zweiten Phase wurden Interviews mit Künstlerinnen, Kraftsportlerinnen und Aktivist*innen geführt, um unterschiedliche Perspektiven auf Körperbilder und feministische Kämpfe zu integrieren. Das gesammelte Material wurde audiovisuell aufbereitet und in die Performance eingebunden. Die dritte Phase widmete sich der szenischen Umsetzung. Hier wurden die gewonnenen Erkenntnisse in eine physische Sprache übertragen, wobei choreografische Brücken zwischen Kraftsport und Luftartistik geschlagen wurden. Stilistische Brüche, etwa der Einsatz von Melodic Hardcore-Musik zu klassischen Tuchsequenzen, verstärkten die inhaltliche Auseinandersetzung.
Technische Umsetzung: Die Produktion integriert Videoprojektionen, die auf das Tuch projiziert werden. Durch die Wahl des Ballhaus Prinzenallee als Premierenort konnte ein interdisziplinärer Raum geschaffen werden, der sowohl Theater- als auch Performanceelemente vereint.
Relevanz und Zielsetzung: Seide & Stahl schafft einen performativen Raum, der normierte Körperbilder herausfordert und FLINTA*-Personen inspiriert, sich jenseits gesellschaftlicher Normen künstlerisch zu präsentieren. Die Produktion verknüpft die intellektualisierte Zirkusszene mit queerfeministischen Bewegungen und dem Kraftsport, um interdisziplinäre Perspektiven zu öffnen.
Zur Künstlerin
Jarmila Lee-Lou Kuznik (sie/ihr) lebt in Berlin und arbeitet als Zirkusartistin, Tanzpädagogin und Kuratorin.
Ihre unterschiedlichen Tätigkeiten vereint dabei das Interesse an und die Suche nach einem zeitgemäßen und weiblichen* Zirkusschaffen, in dem Inhalt, Ästhetik und Arbeitsbedingungen neu gedacht werden. Während und nach ihrer Ausbildung an der Etage Berlin und der Universität der Künste Berlin brachten Engagements sie auf Bühnen wie das International festival of Non-verbal theatre „MyMime“/May, St. Petersburg (Russland), Pfefferberg Theater (Deutschland), Festival Internacional de Teatro y Artes de Calle de Valladolid (Spanien), Lurupina Festival (Deutschland) , NDAR Urban Week (Senegal) und sie performte für zahlreiche Cooperate Events mit Entourage Berlin.
Zentral für ihr Schaffen ist die Verbindung von Aktivismus und Darstellender Kunst. 2020 gründete sie das interdisziplinären MenstrulutionCollective, welches neben der Kreation verschiedener Soli-Performances eine Offene Bühne mit kuratiertem Feedback in Neukölln realisiert. Die Urbanstage, soll Kunstschaffenden in Neukölln die Möglichkeit schaffen, sich innerhalb der freien Szene auszutauschen, unterstützen und zu vernetzen sowie jenseits von institutioneller Rahmung oder monetären Interessen ein konstruktives Feedback zu bekommen. Das Kollektiv ging über in Kunstkartell e. V., welcher sich um die Zugänglichkeit von Kunsträumen bemüht und Künstler*innen mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch vernetzt.
Sie ist eine der 3 Zirkuskünstler*innen, die im PAP Mentoring-Programm Einstieg „2022-23“ als Mentees ausgewählt wurden. Neben ihrer künstlerischen und pädagogischen Arbeit engagiert sie sich intensiv in der Initiative Feministischer Circus, die mit dem Anliegen gegründet wurde, diskriminierende und sexistische Mechanismen in der deutschen Zircusszene aufzudecken und einen Rahmen zu schaffen, um ihnen entgegenzuwirken.
Foto: Benjamin Lucks